Du kennst bestimmt diese eine Person auf der Arbeit – die ständig im Mittelpunkt stehen muss, sich für unersetzlich hält und bei jeder Gelegenheit ihre Erfolge hervorkramt. Oder den Chef, der jede Besprechung in eine One-Man-Show verwandelt. Falls du dich fragst, warum manche Menschen so drauf sind: Die Wissenschaft hat eine ziemlich faszinierende Antwort darauf.
Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Tendenzen landen nämlich nicht zufällig in bestimmten Jobs. Sie steuern gezielt auf Berufe zu, die ihnen das liefern, was sie am dringendsten brauchen: Bewunderung, Macht und eine große Bühne für ihr Ego. Psychologen haben herausgefunden, dass drei Berufsfelder dabei besonders oft von Menschen mit narzisstischen Zügen gewählt werden – und die Ergebnisse sind alles andere als überraschend.
Was sind narzisstische Tendenzen überhaupt?
Bevor wir uns die Berufe anschauen, lass uns kurz klären, wovon wir hier sprechen. Narzisstische Tendenzen bedeuten nicht automatisch eine Persönlichkeitsstörung – das ist ein wichtiger Unterschied. Wir reden von Menschen mit einem überdurchschnittlich starken Bedürfnis nach Anerkennung, die sich selbst als besonders wichtig sehen und oft Schwierigkeiten haben, sich in andere hineinzuversetzen.
Diese Eigenschaften können in moderater Ausprägung sogar karrierefördernd sein. Ein gesundes Selbstvertrauen und der Wille zur Führung sind ja nicht grundsätzlich schlecht. Problematisch wird es erst, wenn diese Züge so stark ausgeprägt sind, dass sie anderen schaden oder toxische Arbeitsplätze entstehen lassen. Die Forschung unterscheidet deshalb zwischen „gesunden“ und „toxischen“ narzisstischen Anteilen.
Platz 1: Geschäftsführer und Top-Manager
Überraschung – an der Spitze stehen Führungskräfte. Kevin Duttons berühmte „Great British Psychopath Survey“ aus dem Jahr 2011 identifizierte CEOs und Geschäftsführer als die Berufsgruppe mit den höchsten Werten bei narzisstischen Eigenschaften. Eine aktuelle Studie von Victoria Berg und Kollegen von der Heinrich-Heine-Universität aus dem Jahr 2024 bestätigte diese Beobachtung: Narzisstische Tendenzen korrelieren stark mit hierarchischem Aufstieg.
Das macht aus psychologischer Sicht absolut Sinn. Diese Jobs bieten praktisch alles, was das narzisstische Herz begehrt: Macht über andere Menschen, hohes gesellschaftliches Ansehen, überdurchschnittliche Gehälter und die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, die Hunderte oder Tausende von Menschen betreffen.
Führungsrollen sind wie maßgeschneidert für Menschen, die glauben, sie seien anderen überlegen. Hier können sie ihre Überzeugung ausleben, dass sie die Klügsten im Raum sind. Gleichzeitig bekommen sie ständig Aufmerksamkeit – sei es von Mitarbeitern, Medien oder Geschäftspartnern. Der Konkurrenzkampf um die Spitzenpositionen spricht Menschen an, die sich gerne mit anderen messen und dabei gewinnen wollen.
Gerhard Blickle von der Universität Bonn fand in einer 2024 veröffentlichten Studie heraus, dass moderate Ausprägungen von Narzissmus in Führungspositionen weit verbreitet sind. Das Problem: Was kurzfristig karrierefördernd sein kann, führt langfristig oft zu Problemen im Arbeitsklima.
Aber Achtung: Nicht jeder Chef ist ein Narzisst! Es gibt unzählige fantastische Führungskräfte, die empathisch und teamorientiert arbeiten. Die Struktur dieser Jobs macht es nur wahrscheinlicher, dass Menschen mit narzisstischen Tendenzen dort erfolgreich sind – zumindest am Anfang.
Platz 2: Anwälte und Juristen
Der Rechtsbereich landet konstant auf den vorderen Plätzen, wenn Forscher nach Berufen mit hohen narzisstischen Tendenzen suchen. Duttons Studie bestätigte das, und auch andere Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Logik dahinter ist ziemlich eindeutig: Anwälte stehen im Mittelpunkt, argumentieren für ihre Sichtweise und müssen andere von ihrer Überlegenheit überzeugen.
Der juristische Beruf ist praktisch darauf ausgelegt, dass Menschen ihre Fähigkeiten zur Schau stellen. Ob im Gerichtssaal, bei Verhandlungen oder in Kanzleibesprechungen – Anwälte sind ständig in der Position, andere zu belehren, zu überzeugen oder zu dominieren. Das kommt Menschen entgegen, die ohnehin glauben, sie seien schlauer als der Rest der Welt.
Das perfekte Umfeld für narzisstische Persönlichkeiten bietet der Rechtsbereich durch mehrere Elemente. Da wäre zunächst der Konkurrenzkampf – schon im Jurastudium wird gesiebt und verglichen. Menschen, die sich selbst als überlegen sehen, fühlen sich in diesem Umfeld wie Fische im Wasser.
Dazu kommt das gesellschaftliche Prestige. Anwälte genießen traditionell hohes Ansehen, verdienen gut und bewegen sich in einflussreichen Kreisen. Für jemanden, der Bewunderung und Status sucht, ist das praktisch ein Traumjob. Die Art der Arbeit selbst unterstützt das noch: Anwälte müssen oft die Schwächen anderer aufdecken, Gegenargumente zerlegen und sich als die überlegene Partei präsentieren.
Interessant ist auch die Machtdynamik: Anwälte haben oft erheblichen Einfluss auf das Leben ihrer Mandanten. Sie können Gerichtsverfahren beeinflussen, Karrieren retten oder zerstören und wichtige gesellschaftliche Entscheidungen mitprägen. Diese Form von Kontrolle und Einfluss kann sehr verlockend für Menschen mit narzisstischen Zügen sein.
Platz 3: Medienberufe und Journalismus
TV-Moderatoren, Journalisten und andere Medienschaffende komplettieren das Podium der narzisstisch geprägten Berufe. Auch das überrascht wenig – diese Jobs sind buchstäblich darauf ausgelegt, im Rampenlicht zu stehen.
Duttons Studie identifizierte besonders TV- und Medienberufe als Magneten für Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Tendenzen. Der Grund liegt auf der Hand: Wo sonst bekommt man so viel Aufmerksamkeit von so vielen Menschen gleichzeitig? Ein einziger Auftritt im Fernsehen kann einem mehr Bewunderung einbringen als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben erhalten.
Medienberufe bieten alles, was sich Menschen mit starkem Geltungsbedürfnis wünschen können. Öffentliche Aufmerksamkeit, die Möglichkeit, Meinungen zu beeinflussen, oft auch Ruhm und Anerkennung von Fremden. Für jemanden, der ständige Bestätigung braucht, ist das wie eine Droge.
Besonders interessant wird es bei Nachrichtenmoderationen oder politischen Talkshows. Hier können sich Menschen nicht nur präsentieren, sondern auch noch als Autoritäten in verschiedenen Themenbereichen auftreten – ein Paradies für alle, die glauben, sie hätten zu allem eine qualifizierte Meinung.
Journalisten haben zusätzlich oft die Macht, über andere zu urteilen, Skandale aufzudecken oder Karrieren zu beeinflussen. Sie können entscheiden, wer in den Medien gut oder schlecht wegkommt, welche Geschichten erzählt werden und wie sie erzählt werden. Diese Form von Einfluss und Kontrolle kann sehr anziehend für Menschen mit narzisstischen Zügen sein.
Warum genau diese drei Berufsfelder?
Die Verbindung zwischen Narzissmus und diesen spezifischen Berufswahlen ist kein Zufall. Menschen mit ausgeprägten narzisstischen Tendenzen haben sehr spezielle Bedürfnisse, die diese drei Berufsfelder besser erfüllen als die meisten anderen.
Da wäre zunächst das Bedürfnis nach Bewunderung. Narzissten brauchen ständige Bestätigung, dass sie etwas Besonderes sind. Jobs in Führung, Recht oder Medien liefern diese Bestätigung fast täglich – sei es durch Mitarbeiter, Mandanten, Zuschauer oder die Gesellschaft im Allgemeinen.
Dann ist da das Streben nach Macht und Kontrolle. Alle drei Berufsfelder bieten erhebliche Möglichkeiten, Einfluss auf andere Menschen auszuüben. Ein CEO kann über Tausende von Arbeitsplätzen entscheiden, ein Anwalt kann den Ausgang von Gerichtsverfahren beeinflussen, und ein TV-Moderator kann die öffentliche Meinung zu wichtigen Themen prägen.
Nicht zu vergessen das gesellschaftliche Prestige. Alle drei Bereiche werden traditionell hoch angesehen und meist auch gut bezahlt. Manager, Anwälte und bekannte Medienfiguren bewegen sich in den oberen Gesellschaftsschichten und genießen Respekt und Anerkennung. Für Menschen, die sich selbst als etwas Besseres sehen, sind das natürliche Ziele.
Die dunkle Seite dieser Berufsverteilung
So verlockend diese Berufe für Menschen mit narzisstischen Tendenzen auch sein mögen – sie bringen auch ernsthafte Probleme mit sich. Blickles Forschung zeigt, dass moderate narzisstische Züge zwar kurzfristig karrierefördernd sein können, aber langfristig oft zu erheblichen Schwierigkeiten führen.
Toxische Arbeitsplätze entstehen, wenn Menschen in Machtpositionen mehr an sich selbst interessiert sind als an ihren Teams oder Zielen. Mitarbeiter leiden unter mangelnder Empathie, übertriebenen Ego-Trips und ungerechten Entscheidungen. Studien zeigen, dass Teams unter narzisstischen Führungskräften weniger produktiv sind und höhere Fluktuationsraten haben.
In der Rechtsbranche können narzisstische Anwälte ihre Mandanten vernachlässigen, weil sie mehr an ihrem eigenen Ruhm interessiert sind als am besten Ergebnis für ihre Klienten. Sie nehmen vielleicht aussichtslose Fälle an, nur um im Rampenlicht zu stehen, oder sabotieren Vergleiche, um spektakuläre Gerichtsauftritte zu haben.
In den Medien können selbstverliebte Moderatoren oder Journalisten die Objektivität verlieren und ihre Plattform hauptsächlich für Selbstdarstellung missbrauchen. Anstatt zu informieren, geht es dann primär darum, die eigene Marke zu stärken und Aufmerksamkeit zu generieren.
Warnsignale erkennen und richtig reagieren
Nicht jeder Mensch in diesen Berufen hat narzisstische Tendenzen, und nicht jeder mit narzisstischen Zügen ist automatisch problematisch. Aber es gibt Warnsignale, auf die man achten kann:
- Übertriebene Selbstdarstellung und ständiges Prahlen mit Erfolgen
- Mangelnde Empathie und wenig Interesse an den Bedürfnissen anderer
- Ständiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit in jeder Situation
- Schwierigkeit, Kritik anzunehmen oder defensive Reaktionen auf Feedback
- Ausbeutung von Beziehungen für den eigenen Erfolg
Diese Erkenntnisse sind nicht nur akademisch interessant – sie haben praktische Auswirkungen auf unser Berufsleben und unsere Gesellschaft. Wenn wir verstehen, warum bestimmte Berufsfelder Menschen mit narzisstischen Tendenzen anziehen, können wir bewusster mit diesen Situationen umgehen.
Bei der Jobsuche kann es helfen zu wissen, dass man in diesen Bereichen möglicherweise öfter mit selbstverliebten Kollegen oder Vorgesetzten zu tun haben könnte. Das bedeutet nicht, dass man diese Bereiche meiden sollte, aber man kann sich mental darauf vorbereiten und Strategien entwickeln.
Als Verbraucher können wir Anwälte, Berater oder andere Dienstleister nicht nur nach Charisma und Selbstvertrauen auswählen, sondern auch darauf achten, ob sie echtes Interesse an unseren Bedürfnissen zeigen. Jemand, der hauptsächlich von sich selbst spricht, ist vielleicht nicht die beste Wahl.
Das große Ganze: Struktur formt Verhalten
Die Verbindung zwischen Narzissmus und bestimmten Berufen zeigt uns etwas Faszinierendes über die menschliche Psyche: Wir werden nicht nur von unseren Persönlichkeiten geformt, sondern auch von den Strukturen, in denen wir arbeiten.
Menschen mit narzisstischen Tendenzen werden magisch von Jobs angezogen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Gleichzeitig können diese Jobs aber auch narzisstische Züge verstärken oder sogar erst hervorbringen. Jemand, der jahrelang ständig im Mittelpunkt steht und Bewunderung erntet, kann durchaus narzisstische Eigenschaften entwickeln, auch wenn er ursprünglich nicht so veranlagt war.
Das könnte erklären, warum toxische Führung in manchen Bereichen so hartnäckig ist. Es ist ein Teufelskreis: Die Strukturen ziehen Menschen mit problematischen Tendenzen an und verstärken diese Tendenzen dann noch weiter.
Die gute Nachricht ist: Bewusstsein ist der erste Schritt zur Veränderung. Wenn wir verstehen, wie diese Mechanismen funktionieren, können wir gegensteuern. Organisationen können ihre Auswahlverfahren anpassen, um nicht nur Kompetenz, sondern auch charakterliche Eignung zu bewerten. Individuen können lernen, die Warnsignale zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
Das nächste Mal, wenn dein Chef wieder eine seiner legendären Ego-Reden hält oder du einen besonders selbstverliebten TV-Moderator siehst, weißt du wenigstens: Du bildest dir das nicht ein. Die Wissenschaft bestätigt, dass bestimmte Berufe tatsächlich Menschen mit narzisstischen Tendenzen anziehen. Und mit diesem Wissen kannst du viel besser einschätzen, mit wem du es zu tun hast – und wie du am besten damit umgehst.
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